📄 Warum ist das wichtig?
Arbeitszeugnisse in der Schweiz müssen "wohlwollend" formuliert sein - das führt zu einer eigenen Geheimsprache. Was positiv klingt, kann vernichtend sein. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Ihr Zeugnis richtig interpretieren.
Die Notenskala der Zeugnissprache
So übersetzen Sie die Formulierungen
Note 6 - Hervorragend
"stets zur vollsten Zufriedenheit"
"in jeder Hinsicht und allerbester Weise"
Note 5 - Sehr gut
"stets zur vollen Zufriedenheit"
"zur vollen Zufriedenheit"
Note 4 - Gut
"zur vollen Zufriedenheit"
"stets zur Zufriedenheit"
Note 3 - Befriedigend
"zur Zufriedenheit"
"zu unserer Zufriedenheit"
Note 2 - Ausreichend
"im Grossen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit"
"insgesamt zufriedenstellend"
Note 1 - Mangelhaft
"hat sich bemüht"
"war stets bestrebt"
Warnsignale: Diese Formulierungen sind Alarmstufe Rot
Versteckte negative Botschaften
"Sie war stets bemüht..."
Übersetzung: Sie hat es versucht, aber nicht geschafft.
"Er erledigte alle Aufgaben ordnungsgemäss"
Übersetzung: Minimale Leistung, keine Initiative.
"Sie hat alle Arbeiten zu unserer Zufriedenheit erledigt"
Übersetzung: Durchschnittlich bis unterdurchschnittlich.
"Für die Belange der Belegschaft zeigte er stets Verständnis"
Übersetzung: Hat mit dem Team gegen die Führung gearbeitet.
"Er war bei Kollegen beliebt"
Übersetzung: Mehr Kaffeeklatsch als Arbeit.
Positive Signale: Das möchten Sie lesen
Echte Spitzenformulierungen
"Ihre Leistungen haben unsere Erwartungen stets übertroffen"
Bedeutung: Aussergewöhnliche Leistung
"Sie war eine ausserordentlich wertvolle Mitarbeiterin"
Bedeutung: Top-Performer
"Wir bedauern ihr Ausscheiden ausserordentlich"
Bedeutung: Grosser Verlust für das Unternehmen
"Selbst in kritischen Situationen bewahrte sie stets Übersicht"
Bedeutung: Hervorragende Belastbarkeit
Die wichtigsten Bereiche eines Pflegezeugnisses
Diese Punkte müssen enthalten sein:
1. Tätigkeitsbeschreibung
Detaillierte Auflistung Ihrer Aufgaben und Verantwortungsbereiche. Je ausführlicher, desto besser war Ihre Position.
2. Leistungsbeurteilung
Bewertung Ihrer fachlichen Kompetenz, Arbeitsqualität und -quantität. Achten Sie auf Superlative!
3. Sozialverhalten
Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Patienten. Die Reihenfolge ist wichtig!
4. Schlussformel
Bedauern über das Ausscheiden, Dank und Zukunftswünsche. Fehlt dies, ist es ein schlechtes Zeichen.
Geheimcodes für spezifische Probleme
Was wirklich gemeint ist
Alkoholproblem:
"Geselliger Mitarbeiter"
"Im Umgang mit Kollegen war er beliebt"
Unpünktlichkeit:
"Er war im Allgemeinen pünktlich"
"Meist pünktlich"
Unehrlichkeit:
"Ihr Verhalten war einwandfrei"
"Vertrauenswürdig" (ohne "stets")
Konfliktverhalten:
"Durchsetzungsfähig"
"Konnte ihre Meinung vertreten"
Die Reihenfolge macht's: Sozialverhalten
Die richtige Hierarchie
✅ Korrekt:
"Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten,Kollegen und Patienten war stets vorbildlich."
Die hierarchische Reihenfolge zeigt Respekt.
❌ Warnsignal:
"Ihr Verhalten gegenüber Kollegen undPatienten war einwandfrei."
Vorgesetzte fehlen = Probleme mit der Führung.
Checkliste: Ist Ihr Zeugnis gut?
Prüfen Sie diese Punkte:
Spezielle Formulierungen in der Pflege
Pflegespezifische Bewertungen
Sehr gut:
"Sie zeigte aussergewöhnliches Einfühlungsvermögen und fachliche Kompetenz im Umgang mit Patienten"
Mittelmässig:
"Sie ging auf die Bedürfnisse der Patienten ein"
Schlecht:
"Sie war bemüht, den Anforderungen der Patienten gerecht zu werden"
Was tun bei einem schlechten Zeugnis?
Ihre Optionen:
- 1
Gespräch suchen
Bitten Sie um ein Gespräch und konkrete Verbesserungen.
- 2
Schriftlich reklamieren
Fordern Sie schriftlich Korrekturen mit konkreten Vorschlägen.
- 3
Rechtliche Schritte
Sie haben Anspruch auf ein wohlwollendes, wahres Zeugnis. Ein Anwalt kann helfen.
- 4
Zwischenzeugnis verlangen
Bei laufendem Arbeitsverhältnis können Sie jederzeit ein Zwischenzeugnis verlangen.
Musterformulierungen für Spitzenzeugnisse
So sollte ein Top-Zeugnis aussehen:
"Frau Müller hat ihre Aufgaben stets zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Durch ihre aussergewöhnliche Fachkompetenz und ihr überdurchschnittliches Engagement wurde sie schnell zu einer tragenden Säule unserer Station."
"Ihre Arbeitsweise war geprägt von höchster Präzision, Effizienz und Patientenorientierung. Selbst in Stresssituationen bewahrte sie stets die Übersicht und traf sichere Entscheidungen."
"Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen sowie Patienten und deren Angehörigen war jederzeit vorbildlich und von aussergewöhnlicher Empathie geprägt."
"Wir bedauern ihr Ausscheiden ausserordentlich, danken für die stets hervorragende Zusammenarbeit und wünschen ihr für ihre berufliche und private Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg."
Fazit
Ein Arbeitszeugnis ist mehr als nur ein Stück Papier - es ist Ihre Eintrittskarte für den nächsten Job. Prüfen Sie es genau, lassen Sie sich nicht von wohlklingenden Formulierungen täuschen und fordern Sie bei Bedarf Korrekturen ein. Es ist Ihr gutes Recht, ein faires und wohlwollendes Zeugnis zu erhalten.
Falls Sie unsicher sind, lassen Sie Ihr Zeugnis von einem Experten prüfen. Die Investition lohnt sich, denn ein schlechtes Zeugnis kann Ihre Karriere jahrelang belasten.
Rechtliche Grundlagen und Quellen
Gesetzliche Bestimmungen und Fachliteratur:
- • Schweizerisches Obligationenrecht (OR) - Art. 330a: Recht auf Arbeitszeugnis
- • Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) - Arbeitsrecht und Arbeitszeugnisse
- • SwissLex - Rechtsprechung zu Arbeitszeugnissen
- • Beobachter Ratgeber - Arbeitszeugnis-Decoder und Rechtshilfe
- • Schweizerischer Arbeitgeberverband - Richtlinien für Arbeitszeugnisse